Stinkfish ist einer der Umtriebigsten unter den lateinamerikanischen GraffitikünstlerInnen. Im Sommer war er in Wien, wo ihn Milena Österreicher traf.
Höhenangst ist bei seiner Arbeit fehl am Platz. In der Kabine einer blauen Hebebühne schwebt Stinkfish in 20 Metern Höhe und sprüht Farbe auf eine Wand. Weder Telefonanrufe noch vorbeigehende, staunende PassantInnen unterbrechen seine Konzentration. Beides scheint er kaum wahrzunehmen, als er im Rahmen des „Calle Libre“-Festivals 2016 – einem mehrtägigen Festival für Street Art in Wien – die graue Wand einer Wohnhausanlage, die an den Richard-Waldemar-Park im sechsten Gemeindebezirk grenzt, besprüht.
En la Calle. Stinkfish kommt ursprünglich aus Mexiko, aufgewachsen ist er in Bogotá. Als Jugendlicher in den 1990ern verbrachte er viel Zeit in den Straßen der kolumbianischen Hauptstadt. Mit 16 Jahren begann er mit Gleichaltrigen, auf Mauern zu sprayen. Illegal versteht sich. „Die Straße muss ein freier Raum für alle bleiben. Wenn nur legal gemalt wird, auf extra dafür ausgewählten Flächen, verliert Graffiti seine Bedeutung“, meint er. Die Illegalität gäbe dem Graffiti eine Relevanz und Stärke, da es Kontroversen auslöse und provoziere.
Alltagsgesichter. Stinkfish sprayt und malt sowohl frei Hand als auch mit Schablone. Seine Inspiration liegt im wahrsten Sinne des Wortes auf der Straße. Auf seinen zahlreichen Reisen fotografiert er Menschen, die ihm begegnen und seine Aufmerksamkeit erregen. Seine Motive sind daher meist Gesichter von Unbekannten, verziert mit psychedelischen Elementen in schrillen Farben. So entstand auch das Bild im sechsten Wiener Gemeindebezirk. Stinkfish hatte vor ein paar Jahren einen Vater und seinen Sohn in Moskau fotografiert. Jetzt blicken sie hier in einem leuchtenden Mix aus Gelb, Blau, Lila, Rot und Grün von einer Hauswand.
„Ich entscheide mich meist für Flächen, die von vielen Menschen gut gesehen werden können, zum Beispiel an stark befahrenen Straßen. Und ich liebe alte Wände, sie haben einen ganz eigenen Charakter und ich muss mich ihrer Oberfläche anpassen“, beschreibt der Kolumbianer seine Arbeitsflächen. Hinter seinem eigenwilligen Künstlernamen stecke keine besondere Geschichte: In der Schulzeit begann er, auf diverse Flächen „Stink“ zu kritzeln. Später fügte er noch – inspiriert durch Punkmusik, die er damals hörte – ein „fish“ hinzu.
Für alle. Hongkong, London, Quito, Peking, Tegucigalpa, Marseille, Ottensheim – Stinkfish hinterlässt an vielen Orten bunte Spuren. Mit seinen Graffitis fordert der gelernte Grafikdesigner den öffentlichen Raum für alle ein: „Mir ist wichtig zu zeigen, dass wir uns oft nicht bewusst sind, welche Räume uns zur Verfügung stehen.“ Normalerweise würden Plätze und Flächen im öffentlichen Raum nur von einigen wenigen dominiert werden. Werbefirmen, Menschen mit Geld, Menschen aus der Politik oder von religiösen Institutionen bestimmen, was dort zu sehen sei. Deswegen male er keine berühmten Personen, sondern Menschen, die ihm am Weg begegnet seien.
Anonym. Jede und jeder, die und der Stinkfish schon begegnet ist, könnte so auf einer Wand auch am anderen Ende der Welt zu sehen sein. Er selbst gibt sich hingegen auf Fotos nicht zu erkennen, da er immer noch auch illegal sprayt. Die Polizei habe ihn schon oft erwischt, aber mitgezählt habe er nicht. Sein Alter, den richtigen Namen und Gesicht versucht Stinkfish, der Öffentlichkeit nicht preiszugeben. Ein schwieriges Unterfangen, da heutzutage fast jeder ein Handy mit Kamera besäße, erzählt er. So offen er im Gespräch einem Graffiti-interessierten Mädchen begegnet, das sich in der Hofmühlgasse als Bewunderin seiner Werke outet, gibt es dennoch auch für sie nur ein Foto mit dem Rücken ihres Idols.
Milena Österreicher ist freie Journalistin und lebt in Wien.
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